DER UMGANG MIT UNSICHERHEIT

Unsicherheit und der Umgang mit einer solchen kann aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden. Aus der politischen, der ökonomischen, der interkulturellen, der psychologischen und sicherlich auch noch aus anderen, wie z.B. der künstlerischen. Grundlage für alle Erklärungen bietet wohl die psychologische Sicht. Aus ihr sind die anderen Sichtweisen abzuleiten. Ein Schlüssel dafür ist das Verständnis, dass der Umgang mit Unsicherheit ein Persönlichkeitsmerkmal ist, das das Verhalten von Individuen erklärt, aber nicht nur im vereinzelten Sinne, sondern auch als verallgemeinerbares Phänomen für ganz Völker. Dieses verallgemeinerbare Verhalten wiederum ist Gegenstand von interkulturellen Vergleichen wie sie z.B. Gert Hofstede angestellt hat. Solche interkulturelle Vergleiche dienen der sachlichen Analyse von unterschiedlichem Verhalten unterschiedlicher Kulturen bzw. von dem Verhalten von Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund. Solche Vergleiche wiederum können uns die Anforderungen näher bringen, denen wir uns zu stellen haben, wenn wir in einer zunehmend globalisierten Welt handlungsfähig sein wollen. Unsicherheiten nicht nur auszuhalten, sondern sie als Herausforderung zu begreifen, unter Unterschieden nicht zu leiden, sondern sie mit einer gewissen Neugier zu genießen, sind u.a. auch Zielvorstellungen einer gelungenen interkulturellen Erziehung.

Mit Unsicherheit zu leben bzw. Ambiguitätstoleranz zu zeigen ist die Antipode zur schrecklichen Vereinfachung bzw. zur Ambiguitätsintoleranz. Ambiguitätsintoleranz wiederum, ist nach den Ergebnissen der Faschismusforschung Ursache für den Faschismus, konkret für die zerstörerischen Anziehungskräfte, die solche schrecklichen Vereinfachungen ausüben. Der Verführung einfacher, einen Schuldigen ausmachenden Erklärungen zu widerstehen, bedarf einer gewissen Anstrengung die sich nicht auf schlichten Ursache-Wirkungserklärungen ausruht. „Sapere aude“ als zentrale Losung der Aufklärung, sich seines Verstandes zu bedienen, darf nicht mit dem bequemen Verlangen verwechselt werden, bedient zu werden und das mit möglichst billigen Mustern.

Insofern könnte die gegenwärtige Zwangssituation, in die uns die Corona Krise geführt hat, heilsam sein, weil sie uns aus einer verlockenden Bequemlichkeit aufgeschreckt und uns vor Augen führt, dass doch nicht alles so easy ist, wie wir es in den vergangenen Jahrzehnten erleben konnten. Manchmal (oder vielleicht auch immer öfter) müssen wir wohl aufgeschreckt werden und uns aktiv bemühen zu lernen und uns zu verändern, um eine Zukunftsperspektive zu erkennen, auch wenn diese komplexer erscheinen wird als unsere bisherige Weltsicht. Und eine Zukunftsperspektive brauchen wir Menschen, um überhaupt motiviert und handlungsfähig zu sein. Allerdings wird diese Perspektive nicht auf Dauer in Stein gemeißelt sein. Sie wird sich schneller ändern müssen als in der Vergangenheit. Und wenn wir Unsicherheit dann nicht mehr nur als Bedrohung sehen wollen, sondern auch als Chance, müssen wir diese Veränderung nicht auf einen Anpassungsprozess an sich verändernde Umstände reduzieren, sondern Akteure in diesem Prozess nicht nur bleiben, sondern verstärkt werden. Und hierfür ist der Zeitpunkt gekommen, auch wenn wir den nicht selbst gesucht haben, sondern er uns aufgezwungen wurde.

Hannover, 29. Juni 2020

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