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STARKE PERSÖNLICHKEITEN BRAUCHT DAS LAND NICHT NUR IN DER REGIERUNG AUCH ALS BÜRGER

Gerade Krisenzeiten verlangen nach dem starken Mann oder der starken Frau. Sie sollen uns aus der Krise führen. Aber auch die Bürger sollen stark bleiben, um sie auszuhalten.

Doch wer ist als Führungskraft und als Bürger stark?

Als Führungskraft sind es nicht diejenigen, die das Schwert schwingend der Meute vorausdrängend sich brüllend auf einen Gegner stürzen, und als erste im Kampfe fallen, um wenigsten als Märtyrer zu überleben. Es ist nicht der Volkstribun, der letztendlich mehr Getriebener als Treiber ist und im Falle seines Scheiterns gemeuchelt wird. Trotz allen Wissens, dass sich diese Spezies eigentlich überlebt hat, gibt es doch noch genügend Überlebende, und, was noch erschreckender ist, sie haben sich an die Spitze von Regierungen in aller Welt gehievt. Zum Glück jedoch nicht in Deutschland.

Als Bürger sind es diejenigen, die nicht den Volkstribunen oder anderen Formen der schrecklichen Vereinfachung nachlaufen, den Verschwörungstheoretikern, den Sektierern, den politischen Wunderheilern und Quacksalbern. All diese erkennt man sofort daran, dass sie die eine richtige Lösung anbieten, zu der es ihrer Meinung nach keine Alternative gibt, es sei denn man wählt den Abgrund. Dass sie selbst diesem zusteuern und ihr Gefolge mit sich ziehen wollen, sehen sie nicht, weil sie blind sind für all die anderen Möglichkeiten, die es sonst noch gibt.

Wer auf solche Menschen trifft den kann man nur raten, melden sie diese umgehend – und zwar ihrem Verstand.

In der gegenwärtigen aber auch zukünftigen Welt, die in „neudeutscher“ Terminologie VUKA, der Abkürzung von Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität bezeichnet wird, ist es meines Erachtens die Ambiguität, die, wie von mir schon seit Jahrzehnten betont, nach dem zentralen Element einer starken Persönlichkeit verlangt und zwar der Ambiguitätstoleranz. Deren Fehlen bzw. die verführerische Ambiguitätsintoleranz ist nach gesellschaftswissenschaftlichen Forschungen Mitte des vergangenen Jahrhunderts die Ursache für das Aufblühen des Faschismus. Der Faschismus ist die zerstörerische Droge, deren Konsum die unlösbaren Widersprüche, die Grauzonen in unseren Entscheidungen zugunsten einer deutlichen Schwarz-Weiß-Szenerie aufhebt. Der Faschismus befriedigt scheinbar, ebenso kurzfristig wie kurzsichtig unsere Vorlieben für klare Ursache-Folge-Ketten, wo das Denken in komplexen Systemen erforderlich wäre, aber keine klaren alternativlosen Wenn-Dann-Entscheidungen bieten. Obwohl wir dies wissen oder wenigstens ahnen, sehnen wir uns nach solchen einfachen abgeleiteten Handlungsanleitungen. Wie Süchtige, die wissen, dass die Droge ihnen letztlich nicht hilft, ihre Probleme zu lösen, konsumieren wir sie dennoch, um danach verkatert, mit schlechtem Gewissen und gesteigerter Ausweglosigkeit wieder aufzuwachen. Eines ist aber weiterhin unverändert sicher, die Welt wird durch solche Fluchtversuche nicht weniger komplex und ambigue.

Wer zur Lösung, möglichst schnell nach einer Meinung greift, diese in den Gedankengang einrammt und sich schließlich daran festklammert, liegt falsch. Sich mit seiner einmal gefassten Meinung untrennbar zu vereinen und sie sogar mit der eigenen Existenz zu verteidigen, wird vielfach als eine Stärke angesehen. Dies ist ein gewaltiger Irrtum. Eine starre Persönlichkeit ist keine starke.

Eine starke Persönlichkeit zeigt sich durch eine gelungene Balance und nicht durch eine starre Position. Dabei ist Balance nicht zu verwechseln mit einem Schwanken. Eine Balance ist vielmehr ein behutsames, achtsames Vorschreiten, durch die vielfältigen z.T. auch widersprüchlichen Ansprüchen, Erwartungen und Anforderungen des Umfeldes hindurch. Diese Balance unterscheidet sich grundlegend von einem starren Festhalten an einer einmal eingenommenen und laut verteidigten Meinung. Sie ist weit mehr als eine unverbrüchliche Haltung, die dann unweigerlich einem Zerbrechen ausgesetzt ist, wenn sich die äußeren Umstände ändern. Wer starr an seiner Position festhält und seine Meinung ins Zentrum der Welt stellt, bleibt, wenn er nicht schon vorher zerbrochen ist, als Denkmal stehen, bis er verwittert oder auch verbittert zerfällt. Dagegen ist eine starke Persönlichkeit eine balancierende und sich auch weiterentwickelnde Persönlichkeit. Und eine Balance ist eine Kunst und Leistung zugleich. Diese starke, weil balancierende Persönlichkeit ist in der Lage, anzuerkennen, dass es in kritischen Situationen unterschiedliche Möglichkeiten gibt, zwischen denen jeder eine Entscheidung treffen muss, eine Führungskraft dann auch für eine Vielzahl anderer Menschen. Und der Weg, für den man sich entschieden hat, ist nicht alternativlos – diese Formulierung hat der politischen Diskussion erheblichen Schaden zugefügt. Er ist lediglich der beste, den die Entscheidungsträger begründet gefunden haben. Damit wird nicht abgesprochen, dass auch andere Möglichkeiten denkbar gewesen wären. Umso mehr ist es wichtig, die getroffene Entscheidung zu begründen. Dabei müssen zum einen die Entscheidungskriterien mitsamt ihrer Gewichtung bzw. ihren Prioritäten deutlich werden. Zum zweiten bedarf es in unserem demokratischen System immer wieder des Hinweises auf die Legitimation, die die Entscheidungsträger in unserem Staat haben, solche Entscheidungen zu treffen.

Dem steht nicht entgegen, dass es Gründe für die Unzufriedenheit je nach dem Grad der unterschiedlichen Betroffenheit in der Bevölkerung gibt. Es ist auch nicht abwegig, dass Bürger dafür werbend in der Öffentlichkeit aufzutreten. Allerdings müssen sie damit rechnen, dass ihre Argumentation einer Überprüfung nach ihrem ideologischen Gehalt unterzogen wird. Dies bedeutet ein wachsamer Blick auf den Versuch, partikulare Interessen dieser Gruppen als im Sinne des Allgemeinwohls umzudeuten.

Und die gefährlichste Form dieser Umdeutung sind eben die sektiererischen Glaubenssätze. Diesen zu widerstehen braucht es starke Bürger, eben solche, die Mehrdeutigkeiten, Unsicherheiten und unterschiedliche z.T. einander widersprechende Anforderungen aushalten. Und eines ist sicher: diese Anforderungen werden garantiert nicht geringer.

Im Grund genommen haben wir dafür in der geistesgeschichtlichen Tradition unseres Landes, vor allem mit der Aufklärung und deren zentralen Aufforderung, uns des Verstandes zu bedienen, geeignete Voraussetzungen.

Wichtig ist, dass sich deren Vertreter deutlich und wohl auch lautstarker zu Wort melden und dass ihnen medial mindestens ebenso große Aufmerksamkeit zukommt wie den Abweichlern und Sonderlingen, auch wenn diese nicht so gut zu verkaufenden Schlagzeilen liefern wie die Produzenten von Absurditäten. Die öffentliche Meinung darf nicht zum Panoptikum verkommen, in dem dann nicht mehr der Mensch ohne Unterleib präsentiert wird, sondern der ohne Kopf.

 

 

 

 

 

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